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All das zu verlieren
von: Leïla Slimani
Die französisch-marokkanische Schriftstellerin Leïla Slimani gilt als eine der wichtigsten Stimmen der jungen französischen Gegenwartsliteratur. Ihr erster Roman von 2015 liegt nun auf Deutsch vor und liest sich wie eine Variante des Madame-Bovary-Themas.
Der Ennui – die Langeweile, der Überdruss an der bestehenden Welt und dem eigenen Leben, spielt wohl in keiner europäischen Literatur eine so große Rolle wie in Frankreich. Schonungslos und direkt zeigt die Prix-Goncourt-Preisträgerin Leïla Slimani in ihren Romanen, was in den modernen Frauen so vor sich geht: seelische Abgründe tun sich auf. Es geht um Tradition, Triebe, Gier und immer wieder um den Überdruss.
Adèle ist die Hauptfigur in dieser Geschichte: Sie arbeitet als Journalistin, hat einen Sohn und einen sympathischen Mann Richard (Chirurg), mit dem sie in einem schicken Pariser Viertel lebt. Doch das gutbürgerliche Leben bringt keine Befriedigung. Immer wieder macht sie Streifzüge durch die Stadt, lernt Männer kennen für flüchtigen, oft harten Sex. Ihre Obsessionen zwingen sie zu Fluchten aus dem Alltag, getrieben von der Sehnsucht nach einem anderen Leben. Auch der Umzug in die Provinz ändert daran nicht viel.
In Leïla Slimanis Psychogramm einer Frau geht es um Unterwerfung und Auflehnung, um Freiheit und Abhängigkeit. Es ist beeindruckend, wie die Autorin die Gefühle ihrer Protagonistin schildert, in einfachen, klaren Sätzen, in einer Radikalität, die einen neuen Ton hervorbringt. „All das zu verlieren” beschreibt eine existenzielle Angst und zugleich die Scham darüber. „Liebe ist nichts als Geduld” denkt Richard am Ende, „eine unsinnig optimistische Geduld”.
Aus dem Französischen übersetzt von Amelie Thoma.